JOURNAL

UNBEDARFTER KONSUM?

IST VORBEI.


Yoko Koyanagi ist botanical designer in Tokyo. Sie glaubt an die Kraft von Pflanzen und ihre entspannende sowie heilende Wirkung.

Daher designt sie Arrangements aus Trockenblumen und konservierten Blüten aus natürlichen Zutaten. Ihre Kreationen bereichern Modeläden, Inneneinrichtungen und Lifestyle-Konzepte ( >> ganzes Interview im Magazin: Botanical Design aus Tokyo). Neo-Ökologie heißt der Megatrend unter den das Zukunftsinstitut zeitgeistige Phänomene wie den Bio-Boom, Achtsamkeit, Minimalismus, Slow Culture, Sinn-Ökonomie, Zero Waste und Urban Farming fasst. Verantwortung und Aktivismus sind große Begriffe in diesem Zusammenhang geworden. Steine müssen nicht mehr fliegen, ebenso wenig wie leere Worthülsen – weder Gewalt, noch intransparentes Marketing ohne wirkliches Handeln sind die Maxime unserer Zeit.

 

NORMAL?

Der Megatrend wächst sich in allen Lebensbereichen aus, fordert uns selbst beim alltäglichen Einkauf dazu auf bewusste Entscheidungen zu treffen und drängt uns – den nicht für jeden angenehmen Begriff – der Verantwortung – auf. Schließlich gibt es heute niemanden mehr, den das Thema Klimawandel durch das große Medieninteresse noch nicht erreicht hat. Selbst auf Entertainment Plattformen wie Amazon und Netflix häufen sich die Dokumentationen – von Leonardo DiCaprios Massentierhaltungs-Kritik-Film Cowspiracy über die negativen Hintergründe der Textilproduktion in The True Costs bis hin zu ökologisch wertvoller Landwirtschaft und Ernährung in Sustainable. Sie schmeissen ihre Betrachter mit eindrucksvollen und bleibenden Bildern raus der Comfort Zone des unbedarften und naiven Konsums. Selbst wenn die Ursprünge dieser umweltschädigenden Zustände und Entwicklungen viele Jahre zurückliegen und nicht durch eigenes aktives Handeln verursacht wurden, so ist jeder spätestens jetzt Mitwisser und trägt somit eine potenzielle Mitschuld und Mitverantwortung. Das, was nicht hinterfragt wurde, hat sich in die eigene Wahrnehmung und die eigene Denke als richtig und normal eingebrannt – dieses Weltverständnis steht nun Kopf.

Nicht jeder weiß aktiv und unmittelbar wie er etwas verändern kann, etwas verbessern kann – selbst wenn ein Umdenken stattgefunden hat – es gibt keine globale, noch nicht einmal landesweite und selbst nicht einmal für Haushalte allgemeingültige Anleitung zum besseren Leben. Es ist anstrengend, zeitintensiv und kostet Kraft sein Leben aus den bequemen vorgefertigten Fugen zu heben und nicht nur Schnellschüsse zu machen, sondern langfristige, überdachte und lebbare Entscheidungen zu fällen. Jede Lebenssituation und jeder Haushalt sind unterschiedlich und sofern es keine neuen Gesetze gibt, bleibt dann doch jeder in seiner individuellen Lage und nicht in einem homogenen Umfeld mit Universallösungen.

 

JAGD NACH MUST HAVES

Für uns stehen die Mode und der Konsum von Bekleidung thematisch im Zentrum. Gerade die Bekleidungsindustrie ist diejenige, die nicht nur die Umwelt stark belastet, sondern auch im sozialen und fairen Umgang mit Menschen vielerorts versagt hat. So ist man selbst hin- und hergerissen, wenn man Mode als Ausdrucksform und Kulturgut sehr schätzt, sich mit vielen Handlungsweisen aber nicht identifizieren kann und will. Denn die Botschaft von Bekleidung und Mode selbst hat in der Jagd nach Must haves und täglich wechselnden Stilen ihren Wert verloren. Mode ist vom Kulturgut zum bedeutungslosen Konsumgut geworden. Neu ist wichtiger als qualitativ hochwertig, persönlich und wertvoll. 

Die Frage, die sich in diesem ganzen Szenario stellt, ist: Welcher Weg ist der richtige? Man kann inzwischen sehr schnell und klar über Falsches urteilen, eine Definition des Richtigen zu finden, ist in diesem Kontext aber viel schwerer. Eindeutig ist, dass Marketing in unserer Zeit nicht mehr ausreicht und Nachhaltigkeit und Aktivismus nicht als Trend verstanden werden sollten, der als Inspirationsthema gilt und zu dem man dann eine nette Kollektion gestaltet. Heute mal eine Kollektion zu mehr Diversität, morgen eine zu Nachhaltigkeit und übermorgen dann irgendwas mit Streetwear – weil das ja gerade auch ganz gefragt ist. Das wird auf die Dauer gesehen wohl nicht gut gehen. Die Veränderungen müssen auch hier langfristig und die eigene DNA betreffend sein – was eine große Herausforderung darstellt. Nicht in erster Linie unbedingt für die Modemacher, die gerade ein neues Business starten. Deshalb ist der Markt der jungen, nachhaltigen Marken auch in den letzten Jahren stark gewachsen.

ES GIBT GENUG KLAMOTTEN.

Trotz dieses Angebots stellen wir uns eine vielleicht viel generelle Frage – nämlich die des Konsums. Offensichtlich gibt es bereits jetzt mehr Bekleidung als genug auf dem Markt. Dennoch wird mindestens in saisonalen Zyklen weiter und weiter produziert, was dann im Ganzjahres-Sale verscherbelt werden muss, damit dort wieder ein Endverbraucher lieblos ein Teil in den Korb schmeißt, weil es eben nur noch 10 Euro statt 30 kostet. In der nächsten Saison landet es dann in der Tonne, weil es sich verzogen hat und auch irgendwie doch nicht das war, was zu einem passt. Vielleicht muss der Endverbraucher den ersten Schritt machen – viele schränken ihren Fleischkonsum inzwischen sehr bewusst ein – warum nicht auch den Bekleidungskonsum? Marken wie Patagonia haben bereits vor Jahren mit ihrer ‚Don’t buy this jacket‘-Kampagne gegen alle üblichen Marketingregeln verstoßen und zum strikten und bewußten Konsum aufgerufen. Interessant ist im Kontext von Patagonia auch die Dokumentation The next black – sie stellt Innovationen und Persönlichkeiten der Modewelt vor, die das Konzept Bekleidung für die Zukunft neu denken.

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