JOURNAL

Kulturklau, oder kreative Freiheit?


Dreadlocks, Turbane, Kopftücher und Geisha-Looks – viele der großen Top-Designer haben sich schon mit Kulturklau-Vorwürfen konfrontiert gesehen, die gerne auch mal bis zum Shitstorm reichten. Die Debatte bringt die Frage auf den Punkt: Wo sind die Grenzen zwischen kultureller Aneignung und kultureller Anlehnung? 

Bei der Dior Cruise Collection 2019 ließ sich Designerin Maria Grazia Chiuri von den mexikanischen Rodeo-Reiterinnen Escaramuzas, ihrem Anmut, ihrer Kraft und den traditionellen Stickereien inspirieren – Prinzipiell kein Problem, aber die Entscheidung die Kampagne mit der weißen US Schauspielerin Jennifer Lawrence zu promoten, die keinerlei kulturellen Bezug zu Mexiko hat, stieß auf Unverständnis und Ärger. Authentisch wirkt das Ganze tatsächlich nicht unbedingt, denn wer kann eine Kultur besser verkörpern, als jemand, der einen Bezug zu dieser hat? Generell ist Diversität nach wie vor ein großes Thema in der Mode, nicht zuletzt, weil sie eben längst nicht als eine gelebte Selbstverständlichkeit gilt. So fortschrittlich und schnell diese Branche augenscheinlich sein mag, so rückständig ist sie wiederum an anderen Stellen – an entscheidenden. 

Karlie Kloss als Geisha, Kendall Jenner mit Afro-Hairstyle im Vogue Magazin, Models mit indischen Turbanen und zuletzt Hijabs, die von nicht muslimischen Frauen getragen wurden – die Liste ließe sich lange fortsetzen – auch bis weit in die Vergangenheit hinein. 

Natürlich sollte Mode kreativ und weltoffen sein und durchaus auch den Blick für andere Kulturen und Traditionen sowie Bekleidungsformen öffnen, denn sie ist auch ein Ausdruck von Zeitgeist und der ist nun einmal auch von Globalisierung, Vernetzung und Digitalisierung geprägt. Es ist darüber hinaus auch ein schöner Zug kulturellen Identitäten zu huldigen, ihre Besonderheiten, ihr Handwerk und ihren Stil hervorzuheben und ihr Aufmerksamkeit zu verleihen. Denn es gibt sehr viele interessante Bekleidungskulturen, die teilweise noch ungesehene Neuheiten in die Mode bringen können und natürlich unter wachsender Aufmerksamkeit auch dazu beitragen können, Mode weiterzuentwickeln, zu bereichern, Formen und Schnitte, Silhouetten und ein ganzes Verständnis von und für Mode zu verändern. Aber das verlangt eine wirkliche Auseinandersetzung mit einer Kultur – und in diese Richtung geht auch häufig der Vorwurf – denn die Mode tickt so schnell, dass das kaum möglich erscheint und dem ein oder anderen Designer in diesem Zuge, sicherlich nicht aus Absicht, teilweise peinliche Fehler unterlaufen, oder sich gesamte Kulturen sich betrogen, verfälscht dargestellt und zu gewinnbringenden Zwecken ausgenutzt fühlen.

Der Aufruf zu mehr Diversität bleibt also ebenso laut, wie der, interkulturell zu arbeiten, nicht nur die vielfältigen Ausdrucksformen von Kulturen auf dem Laufsteg zu zeigen, sondern auch im Austausch mit Menschen aus diesen Kulturen zu arbeiten und durch den Dialog auch zu spüren wo Grenzen des guten Geschmacks, des Respekts und der Intimität liegen, die nicht überschritten werden dürfen. Durch die Demokratisierung selbst der Luxusmode ist nicht zuletzt die Forderung zu mehr Nachhaltigkeit und Transparenz lauter geworden, sondern auch zu mehr Haltung – wofür stehe ich, welche Werte verkörpere ich, wie verhalte ich mich und wie sozial bin ich?

Die meisten Marken und Modemagazine verspüren diesen Druck nicht zuletzt, wenn Sie von der Öffentlichkeit auf ihren Social Media Kanälen dazu gezwungen werden entweder eine Erklärung für ihr Verhalten, oder eine Entschuldigung für ihr Fehlverhalten abzugeben, um die erhitzten Gemüter zu besänftigen und ihr Image nicht zu gefährden. Die Vogue erklärte beispielsweise zum Vorfall mit Kendall Jenner, dass die wilde Frisur und das Styling inspiriert von den 60er und 70er Jahren waren. Das Dior Magazin veröffentlichte Bilder mexikanischer Fotografinnen, die die Cruise Kollektion an unterschiedlichen Orten in Mexiko ablichteten.

Die hitzige Debatte hat aber auch andere Stimmen hervorgebracht, denn die Sensibilität des Themas ist – vor allem in Amerika – inzwischen so hoch, dass die Karte mit dem Hashtag #culturalappropriation zu schnell, zu generell und zu häufig gezückt wird. Vor allem dann, wenn Menschen den Vorwurf verbreiten, die nicht selbst zu der angeblich mißachteten Kultur gehören. Selbsternannte Experten für kulturelle Aneignung können durch ihr Verhalten sogar das Gegenteil auslösen und der Kultur, die sie angeblich verteidigen und schützen wollen, eher Schaden anrichten. So berichtete die Japan Times 2015 von der japanisch-amerikanischen Ausstellung “Looking East: Western Artists and the Allure of Japan”, die und unter anderem auch die Kimono Kultur fördern sollte. Demonstrationen und Kulturklau-Vorwürfe waren das Ergebnis. Dabei sehen die Japaner sich selbst ganz und gar nicht als ein Opfer des Westens, sondern, so äußerte sich ein Mitarbeiter des Nishijin Textiles Center in Kyoto: Jeder kann Kimono-Stile anpassen und kreativ verändern, wann und wie er möchte. Professor Kaori Nakano für Modegeschichte an der Meiji-Universität stellte gegenüber dem Magazin klar: „Kulturelle Aneignung ist der Beginn neuer Kreativität. Selbst wenn es Missverständnisse gibt, entsteht etwas Neues. Es könnte der Schlüssel für die Zukunft der Kimonomode sein.“ Was Japan zugute käme, denn der landeseigenen Kimono Industrie geht es wirtschaftlich nicht besonders gut. Ebenfalls zu berücksichtigen gilt laut Artikel, dass japanische und westliche Mode einander bereits seit mehreren Jahrzehnten gegenseitig beeinflussen und bereichern. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts und besonders zu Zeiten der Jahrhundertwende waren nicht nur der Kimono, sondern auch japanisch inspirierte Drucke und Motive in Amerika und Europa mehr als gefragt. 

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