GLAUBEN, JA.
Aber ohne Forderungen.
Religiös, oder spirituell? Wie tickt die junge Generation in einer maximal individualisierten Gesellschaft im Bezug auf Religion?
Wir haben Jugendforscher Philipp Ikrath dazu interviewt.
Philipp Ikrath ist Geschäftsführer sowie Gesellschafter der Trendagentur tfactory für Markt- und Meinungsforschung in Hamburg, ebenso ist er der wissenschaftliche Leiter und Vorsitzende von Jugendkulturforschung.de – Jugendkulturforschung und Kulturvermittlung e.V., lehrt an der Hochschule Merseburg und hält Vorträge über die Schwerpunkte Jugendwerte, Jugend & Kultur.
Haben religiöse Werte noch eine Bedeutung für die Jugend und wenn ja, wie tiefgehend ist diese?
„Kaum. Religion und Politik stehen in der Liste der wichtigsten Lebensbereiche regelmäßig ganz unten. Am wichtigsten sind Freunde und Familie. Und wenn man mit Jugendlichen reden, denen das Metaphysische noch etwas bedeutet, dann bezeichnen sich die eher als spirituell. Da geht es also um Glauben außerhalb organisierter Religionsgemeinschaft und vor allem: Ohne Dogmen, ohne echte Autoritäten und ohne Unterordnung. Ein Glaube an dem man sich festhalten kann, wie an einen Schutzengel, der zwar auf einen aufpasst, dabei aber keine Forderungen stellt. Der allergrößte Teil der Jugendlichen ist, wenn man so will, religiös antitotalitär. Den Institutionen mit ihren Hierarchien und Regeln wird allerdings misstraut.“
Dient Religion heute eher dazu sich einzelne, individuell ‚passende‘ Aspekte selektiv rauszupicken, ohne sich mit den gesamten Inhalten der Glaubensrichtung zu befassen?
„Wer sich einer Religionsgemeinschaft gegenüber allzu treu verschreibt, deren Regeln befolgt und sich der Autorität religiöser Führer bedingungslos unterordnet, gilt als Konformist. Wer sich einzelne Aspekte nach dem eigenen Geschmack herauspickt, als versierter und anspruchsvoller Konsument. Das gilt ja nicht nur für die Religion. Ebenso für die Politik (Stichwort Wechselwähler), den „spannenden“, weil ungewöhnlichen Lebenslauf, das Insta-Profil, die Urlaubsreise (man denke an den schlechten Ruf des Pauschaltourismus) und die Mode. In einer individualisierten Gesellschaft muss sich jeder, wie der Soziologe Andreas Reckwitz das nennt, erfolgreich singularisieren, das heißt sich als einzigartig und unverwechselbar inszenieren. Und zwar in jedem Lebensbereich. Jahrhundertelang tradierte Regelwerke passen natürlich schlecht in dieses Konzept.“