JOURNAL

„In meiner Arbeit sieht man schon den Mix aus beiden Kulturen, in denen ich aufgewachsen bin.

Designer Portrait: Thien von L’amour est bleu

Thien Huynh ist studierte Modedesignerin und lebt in Berlin. Vor vier Jahren hat sie ihr eigenes Label – L’amour est bleu – gegründet. Sie hat mit uns über ihr Leben als Designerin und als Gründerin eines nachhaltigen StartUps in der Modebranche gesprochen und uns einen Blick in ihren bewegten Alltag gewährt; denn zwischen einem ersten kreativen Impuls und einer fertigen Kollektion liegt ein langer Weg.

WAS HAT DICH MOTIVIERT DEIN LABEL ZU GRÜNDEN – GAB ES EIN SCHLÜSSELERLEBNIS?

Mehrere kleine. Und das über mehrere Jahre hinweg. Auch durch Kinder, muss ich sagen. Rana Plaza hat auch dazu beigetragen – ich war damals in einer Ausstellung, die hieß Fast Fashion, in Hamburg. Das, was ich dort gesehen habe, war schon ein Auslöser für die Erkenntnis, dass ich in einer ganz schlimmen Branche arbeite. Ich war damals noch bei einem großen Modekonzern beschäftigt. Selbst große Unternehmen, die bereits relativ nachhaltig handeln, haben dennoch immer die Intention, beim Menschen ein stetiges Verlangen nach noch mehr Mode und noch mehr Konsum zu wecken. Da habe ich mich gar nicht mehr gesehen – Kleidung in schlechter Qualität zu produzieren und dem Kunden jede Saison aufs Neue einzureden, was er alles braucht. Diese Welt und die Werte, die da verkörpert werden, das passte nicht mehr zu mir.

WÜRDEST DU DICH ALS IDEALISTIN BEZEICHNEN?

Ich möchte niemandem sagen, was richtig ist oder sein soll, aber in dem Sinne habe ich mein Label schon gegründet, um ein Wegbereiter zu sein und eine Entwicklung in der Modebranche vorantreiben zu wollen. Als ich mit L’amour est bleu angefangen habe, gab es schon nachhaltige Labels. Ich bin nicht auf den Zug aufgesprungen, weil abzusehen war, dass das ein Trend werden würde, sondern weil einfach klar war, dass ich eine Verantwortung habe und ich nicht mit normal-gängigen Praktiken arbeiten kann. Für mein Verständnis wäre das verantwortungslos gewesen.

IST DEINE MODE FÜR DICH AUCH EIN AUSDRUCK DEINER IDENTITÄT?

Ja. Total. Ich gehöre durchaus zu den Menschen, die über Mode ihre Identität ausdrücken. Für mich ist Mode nicht nur etwas Praktisches oder etwas, womit ich einfach nur meinen Körper bedecke.

WIE SIEHT EIN GANZ NORMALER TAGESABLAUF BEI L’AMOUR EST BLEU FÜR DICH AUS?

(Lacht) Ziemlich chaotisch! Ich kann nichts strikt abarbeiten und nichts durchplanen – ich tue jeden Tag etwas anderes oder eigentlich sogar mehrere Dinge parallel! Ich mache ja alles selber. Da kann es sein, dass ich mit der neuen Kollektion beschäftigt bin, zeitgleich Bestellungen abarbeite und Marketingaktivitäten plane und bespreche – jeder Tag ist bei mir anders!

WIE UND WO ARBEITEST DU? CHAOTISCH ODER AUFGERÄUMT?

Auf jeden Fall aufgeräumt – was zuhause manchmal schwer ist! Zuhause zu arbeiten, ist eine Herausforderung, weil ich nach der Arbeit immer wieder alles wegräumen muss und nicht einfach mal meine Schnitte und Stoffe liegen lassen kann. Wenn ich Kreatives mache, höre ich Musik, oder Podcasts – bei Zahlenkram brauche ich tatsächlich absolute Ruhe.

WIEVIEL ANTEIL AN DEINER ARBEIT IST DENN TATSÄCHLICH KREATIV?

Da muss ich lachen – das ist der Schrecken aller Designer – wenn wir von Kreativität im Sinne von reiner Designarbeit sprechen, dann sind es tatsächlich 10 bis maximal 15 Prozent. Aber man kann an unterschiedlichen Stellen kreativ sein – Marketingkampagnen zu gestalten ist durchaus auch eine kreative Arbeit für mich.

DU HAST VIETNAMESISCHE WURZELN – MACHEN DIE IRGENDETWAS MIT DIR?

Ja, würde ich schon sagen. Meine Designs sind minimalistisch und haben ein besonderes Detail und einen kleinen Bruch. In meiner Arbeit sieht man schon den Mix aus den beiden Kulturen, in denen ich aufgewachsen bin.

HAST DU EIN MORGENDLICHES RITUAL?

Seit Neuestem stehe ich jeden morgen zwischen halb sechs und sechs auf und mache eine Stunde Yoga. Das bringt sehr viel – körperlich bewegen und gleichzeitig Ruhe finden.

BIST DU MANCHMAL KURZ VOR DEM AUFGEBEN?

Ein-, zweimal tatsächlich. Es werden einem schon sehr viele Steine in den Weg gelegt – mit Auflagen seitens des Staates, aber auch in der Zusammenarbeit mit Lieferanten. Es gibt tatsächlich den Fall, dass man für seine Kollektion keine guten Stoffe zur Auswahl hat – und der nachhaltige Markt ist im Bereich der Stoffe klein für Labels, die keine riesigen Mengen abnehmen können. Du hast da natürlich weniger Power. Dann wird es dann schwer eine gute Kollektion auf die Beine zu bringen.

Als ich mit L’amour est bleu angefangen habe, gab es schon nachhaltige Labels. Ich bin nicht auf den Zug aufgesprungen, weil abzusehen war, dass das ein Trend werden würde, sondern weil einfach klar war, dass ich eine Verantwortung habe.“

WAS SIND DEINE GRÖSSTEN STRUGGLES

Das Finanzielle. Man muss sehr viel in eine Produktion investieren, das ist in der Mode nun einmal so. Und tatsächlich auch, dass mir das Netzwerk zur Unterstützung fehlt. Keiner möchte auch in Mode investieren – ich müsste was Technisches machen oder eine App entwickeln, dann hätte ich sofort Investoren!

WAS MOTIVIERT DICH TÄGLICH WEITERZUMACHEN?

Ich glaube, dass ich etwas Sinnvolles mache, das mir Spaß macht. Ich möchte, dass daraus etwas Erfolgreiches wächst, von dem ich leben kann.

WO WILLST DU MIT DEINER MARKE HIN?

Ich möchte, dass meine Marke so bedeutend wird, dass ich in der Branche mit etwas verändern kann. Ich will so groß und stark werden, dass auch ich Druck ausüben kann.

WÜRDEST DU DIR BESSERE NETZWERKE/BESSERE UNTERSTÜTZUNG/MEHR FÖRDERUNG SEITENS DER MODEBRANCHE WÜNSCHEN?

Auf jeden Fall. Es ist nicht so einfach, Unterstützung zu finden – gerade im Bereich Mode. Es gibt kaum Austauschmöglichkeiten – selbst in Berlin sogar!

WIE UND ÜBER WELCHE NETZWERKE SCHAFFST DU DIR EINE COMMUNITY UND POTENZIELLE KUNDEN?

Über Instagram und Facebook hauptsächlich. Facebook hat allerdings schon an Bedeutung verloren. Ich will aber mehr Kundenkontakt – ich plane PopUp-Stores. Da bekommt man direktes und ehrliches Feedback. Online ist das schwer und selten.

MIT WEM ARBEITEST DU ZUSAMMEN – WER SIND DEINE SUPPORTER, DEINE VERTRAUTEN, DEINE EXPERTEN?

Ich arbeite von Beginn an mit der gleichen Fotografin zusammen, die habe ich über eine Bekannte aus meinem Netzwerk kennengelernt. Meine Schwester unterstützt mich auch sehr viel. Mein Kreis ist groß, aber ich müsste mehr machen, um mehr Austausch zu betreiben. Wenn es die Zeit erlaubt, gehe ich zu Netzwerktreffen. Aber ich hätte gerne eine Art Supporter/Mentor, der mich beim Business begleitet und berät, denn man muss sich vorstellen, dass ich wirklich jeden Schritt alleine entscheide. Jemanden, der mich challenged und vorantreibt, das wäre super.

DU LEBST IN BERLIN – GROSSSTADTLEBEN UND NACHHALTIGKEIT – VERTRÄGT SICH DAS

In Berlin kann man alles mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen und das Angebot an sich ist schon sehr groß – Restaurants, Labels usw. wenn man nachhaltig leben möchte und auf Leute treffen will, die einen ähnlichen Lifestyle haben, dann ist man hier – was Großstädte angeht – schon an der richtigen Adresse. In Deutschland hat Berlin schon fast eine Vorreiterrolle – allein, wie viele vegane Restaurants es beispielsweise hier gibt.

WIE MINIMALISTISCH IST DEIN EIGENER KLEIDERSCHRANK?

In meinem Kleiderschrank sind noch immer zu viele Sachen und ich habe immer noch das Gefühl, dass ich ihn noch mehr leeren müsste . Ich habe schon vor einiger Zeit radikal auf ein Drittel runter reduziert. Wenn man in der Modebranche arbeitet, dann ist Shoppen häufig fast ein Hobby – auf diese Idee würde ich heute gar nicht mehr kommen. Ich habe meine Lieblingsteile, die ich trage, bis sie wirklich kaputt sind und bis es wirklich gar nicht mehr geht.

DU BIST, WAS DU ISST. SPIEGELT SICH DEINE EINSTELLUNG BEISPIELSWEISE AUCH BEIM ESSEN WIDER?

Auf jeden Fall. Wie bei der Mode auch, führe ich das step by step ein. Man kann nichts von einem auf den anderen Tag komplett umstellen. Ich bin keine Vegetarierin und lebe nicht vegan, aber ich achte auf Bio-Produkte und Regionales. Ich versuche, qualitativ besser zu kaufen und Müll zu vermeiden. Ich bin noch nicht da, wo ich gerne sein würde, aber das ist auch nicht immer so einfach und auch durchaus an manchen Stellen – gerade mit Kindern – auch eine Geldfrage. Das fängt ja schon bei kleinen Dingen an – Windeln wegwerfen oder waschen? Wenn ich alles richtig machen wollte, müsste ich derzeit an drei, vier verschiedenen Orten einkaufen.


WAS IST DIE ZUKUNFT VON MODE FÜR DICH? WENN DU SELBST EIN BILD DER MODEBRANCHE IN DEUTSCHLAND IN ZEHN JAHREN ZEICHNEN KÖNNTEST, WIE SÄHE DAS AUS?

Ich würde mir wünschen, dass es eine Grundvoraussetzung wird, dass Kleidungsstücke nachhaltig sind. Es sollte eine Bedingung werden, dass der Großteil der Anbieter so arbeiten muss.

ALLE BILDER © NANCY JESSE – WWW.NANCYJESSE.COM

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