Sonntagskleid oder Trainingshose?
Zahlreiche historisch anmutende Kollektionen prägten die Designerschauen.
In Mitten der zahlreichen historisch inspirierten Kollektionen sind wir auf den Begriff der Sonntagskleidung gestoßen. Dieser hat uns zum Nachdenken angeregt, denn er weckt durchaus noch schwache Kindheitserinnerungen an einen Begriff, der heute keine Relevanz mehr hat. Der ursprüngliche Sonntagsstaat – wie man die Bekleidung nennt – liegt ja deutlich weiter zurück, als unsere Kindheit, denn von besonderen Trachten, die an Sonntagen getragen wurden, haben wir ja keine Vorstellung mehr. Besondere Kleidung, die sich von der alltäglichen Arbeitsbekleidung abhebt und auch eine repräsentative Aussage tragen könnte – das liegt schon eher im Bereich der Erinnerungen. Was davon übrig geblieben ist – und in unserer Kindheit davon durchaus noch präsent war, ist der Gedanke, dass man sich am Sonntag schicker macht – für die Kirche und eigentlich auch für die Straße. Männer in Stoffhosen und Hemden, oder in Anzügen (statt in Jeans), Frauen in feineren Hosen, Kleidern oder Röcken. Ebenso wie die feste Erinnerung daran, dass man sein Auto sonntags nicht wäscht, den Rasen nicht mäht und das Haus nicht umbaut – sprich nicht arbeitet.
35 Jahre später – also heute – sollte man seinen Rasen noch immer sonntags nicht mähen, aber kann man an der Bekleidung der Menschen auch nur erahnen, dass es sich um einen Sonntag handelt? Im Gegenteil. Bekleidung am Wochenende ist ja eher zum Ausdruck von Entspannung geworden – also wird die Jogginghose dem Sonntag, als arbeitsfreiem Tag – emotional eher gerecht, als der Anzug, den man ja eben erst abgelegt hat. Hätte. Gesetzt den Fall, dass man in einer Bank arbeiten würde, oder in einer der an einer Hand zählbaren konservativen Restbranchen, die noch immer an längst vergangenen Dresscodes festhalten. Denn die gibt es ja eigentlich gar nicht mehr, also gilt das Argument sich modisch entspannen zu müssen, wohl eher auch nicht mehr. Erst die Sportswear und zuletzt die Streetwear haben letzte Bastionen der Trennung zwischen Berufs- und Freizeitbekleidung zu Fall gebracht. In dieser Hinsicht ist alles erreicht, alle Tabus sind gebrochen, denn Lässigkeit ist heute der wichtigste Modebegriff geworden. Casual war ja im Vergleich zu heute noch fast elegant. Aber jeder Bewegung folgt eine Gegenbewegung.
Die Jogginghose am Sonntag reicht als Zenith der modischen Entspanntheit – denn was kommt nach Lässigkeit? Nachlässigkeit? Das hieße übersetzt Mode keine Bedeutung mehr zu geben – das wäre wenigstens eine ernstzunehmende Haltung – aber keine massentaugliche. Vielleicht kommt die Sonntagskleidung nicht zurück, aber bedeutungsvollere, aussagekräftigere Bekleidung mit Sicherheit – denn Lässigkeit ist keine Haltung. Und modisch ist sie so sehr Mainstream geworden, dass sie nichts mehr verändern kann.